Redakteur: Th. Krebs
Quelle: Th. Krebs
Publikationsdatum: 25.04.2012
Letzte Änderung: 26.04.2012

Kleine Literaturgeschichte für die Oberstufe

Ein holpriges Lehrgedicht in 18 Gesängen

Diese kleine Literaturgeschichte mit dem Schwerpunkt auf der Lyrik ist als kleine Abwechslung für die Abiturienten bei der harten Abiturvorbereitung gedacht. Vielleicht ist ja die eine oder andere Eselsbrücke dabei.

von Thorsten Krebs

I (Barock)

Opitz war's, der uns befreite
von dem schrecklichen Latein.
Mit Schottel und Zesen an seiner Seite
bringt er uns den Wechselreim.

Denn statt müd' die Silben zählen
wie Ronsard und Heinsius
dürfen wir nun selber wählen
zwischen Iambus und Trochaicus!

Für Hans Sachs war das ein Schock:
verpönt sein alter Meistersang!
Kein Weg von ihm zum neuen Barock,
zu Alternanz und Alexandrinerklang.

Denn zu groß war das Hintertreffen
zu Franzos' und Italiener -
Opitz empfahl, sie nachzuäffen,
damit deutsche Dichtung werde schöner.

Das taten dann der Gryphius
und auch der alte Zesen,
Rist, Klaj und Angelus Silesius,
und sieh! - Der neue Besen

kehrt so gut, daß unsere Dichterschar
ganz allmählich Anschluss fand
an Du Bellay und auch Ronsard
und den Rest aus welschem Land.

Hei, das war ein tolles Toben!
Man sang von Gott und Vaterland,
ja, vor allem, von dem da droben,
weil Gryphius keinen Spaß verstand.

Memento mori, vanitas
o fortuna, pflück' den Tag,
Jenseitshoffnung, Diesseitsspaß -
Jeder so, wie er grad mag!

Denn die Zeit war wirklich bitter:
30 Jahre Angst und Krieg.
Kein Wunder, daß da mancher Ritter
fromme Gottespreise schrieb!

Aber weil das auch sehr fad war
immer nur so fromm zu sein
gab es ein verrücktes Paar:
Hoffmannswaldau, Lohenstein.

Diese beiden bösen Bengel
schrieben schwulst'gen Zuckerguss,
waren beide keine Engel
und machten Gottsched viel Verdruss:

Denn sie wollten nur das eine:
dieser saufen, huren jener.
So traten sie mit ihrem Gereime
in die Fußstapfen der geilen Italiener.

II (Aufklärung)

Womit wir die Epoche wechseln -
endlich hin zur Aufklärung:
statt krumme Ornamente drechseln,
jetzt philosophische Belehrung!

Denn aus Englands grüner Insel
kam das Licht des Empirismus
Was soll das mystische Gewinsel?
Was zählt, ist was mein Organismus

fühlt und sieht und hört und schmeckt
das gilt auch für die Dichtung!
Gott hat mit allem was bezweckt -
das sagt auch die französische Richtung

des Rationalismus à la Descartes,
der muß es schließlich wissen!
Auch Gottsched hat sich entschieden verwahrt
vor Günthers schwülen Seelenergüssen.

Drum dichten wir jetzt wie Albrecht Haller:
Die Alpen sind nicht mehr furchteinflößend,
die Stadt ist böse, die Natur ein Knaller
und frische Bergluft wirkt erlösend!

Da ist er völlig einverstanden
mit Brockes und dem klugen Kleist
daß alles sich in diesen Landen
als trefflich eingerichtet weist.

Man nennt das Physikotheologie,
wenn alles stimmt bis in das Kleinste:
denn dank Gottvaters Phantasie
ist alles gut - selbst der Gemeinste.

III (Rokoko/Anakreontik)

Doch weil die Dichtkunst zu kritisch war
da kam die Zeit des Rokokos
das sang von Wein und Freundschaftsaltar
und Liebe und Wein und Mädchenpopos.

Uz, Götz und auch der geile Gleim
die reimten vom locus amoenus.
Die Mädels gingen ihnen auf den Leim -
es war halt auch was Schönes!

Doch irgendwann, da wurde es fad,
Petrarca nachzustanzen.
Immer derselbe Topos-Salat -
Zeit für ein paar eigne Pflanzen!

IV (Sturm und Drang)

Das war die Stunde des jungen Goethe
meine Güte, welch ein Genie!
Schrie heraus die Seelennöte -
reimen musste der fast nie!

Er fordert die Götter mit freien Rhythmen
was war das ein Stürmen und Drängen!
Aus Fischersfrauen macht er Witwen
und Klopstock schlägt er um Längen.

Doch Goethe war kein Atheist
der sich selbst wie Gott benahm!
Drum merke, wer Prometheus liest,
dass danach Ganymedes kam!

Denn Dichten ist wie Blutdruckmessen:
es lebt von Dia- und Systole!
Die beiden hat er nie vergessen -
zu seinem und unserem Wohle.

Sein Freund hieß Schiller, war sentimental
und nicht so naiv wie der Wolfgang.
Vielleicht auch nicht ganz so radikal,
doch bestimmt nicht minder von Rang.

V (Klassik)

Er war es auch, der schneller fand
den Weg zur Zeit der Klassik.
Ideen, Gedanken aus Griechenland -
die fand der Schwabe rassig.

Drum schrieb er die Götter Griechenlands,
den Hymnus an die alte Zeit
ja früher, da war die Welt noch ganz
und die Götter noch nicht so weit.

Um ihnen etwas näher zu sein,
reiste Goethe dann gen Italien
schrieb danach von Amor und Wein
und seinen antiken Genitalien.

Die Römischen Elegien waren damals
das Schärfste auf dem Markt.
Schiller bekam einen trockenen Hals
Und Herder fast 'nen Herzinfarkt!

Egal, sie erschienen in den Horen
weil sie so schön gereimet sind.
Denn was in klassischen Formen geboren
ist qua Gesetz ein schönes Kind.

Und sonst ist Goethe ja wirklich brav:
längst sieht er die Grenzen der Menschheit.
Schiller spricht: "Du dummes Schaf.
Es wurde auch langsam Zeit!"

So geht sie dahin, die Weimarer Zeit
mit Gutem, Wahrem und Schönem.
Vor lauter Harmonieseligkeit
beginnt Novalis langsam zu stöhnen.

VI (Romantik)

Womit wir bei der Romantik wären,
jener Verehrerin der Nacht.
Sie will nicht schillernde Balladen gebären,
sie drängt nach Sinnlichkeit mit Macht.

Denn Wert und Norm und Form und Maß
sind für die Alten nur.
Wir singen Liebe, singen Hass
und von Gefühlen pur.

Doch auch die kluge Wissenschaft
kennen wir mit Kind und Kegel:
zu finden in der Vorlesungskraft
der klugen Gebrüder Schlegel.

Sie liebten die Kunst und das Fragment
und poetisierten die Welt
mit Versen, die heute ein jeder kennt,
der ein bisschen was von Lyrik hält.

Die ersten waren Tieck und Novalis
mit ihrer Synästhesie
wobei das eigentlich egal ist,
denn diese dumme Hierarchie

ist bloßes Konstrukt von Germanisten
wie alles in diesem trüben Fach.
Sie stopfen wie alte Lageristen
alles unter irgendein Dach.

So finden wir im romantischen Hause
auch Eichendorff und Clemens Brentano
der eine sang von Mond und Bachgebrause,
der andre Volkslieder am Piano.

Sie waren so romantisch drauf,
da trieben sie's recht lange.
Auch Uhland, Kerner, Schwab und Hauff
hielten der Romantik die Stange.

In Weinsberg war's, im Schwabenland
da sang man die alte Frühlingsleier
der Geist der Zeit blieb unerkannt -
es kam das brave Biedermeier!

VII (Biedermeier)

Das waren die ganz rechts von Hegel,
harmlos und recht konservativ.
Sie fürchteten den frechen Flegel,
der nach dem Jungen Deutschland rief!

Drum blieben sie bei ihren Balladen
vom Knaben im Moor und auf der Heid'.
Vom klassischen Erbe schwer beladen
trugen sie ihr Epigonenleid.

Der arme Edi mit seiner Lampe
es war doch alles nur schöner Schein!
Die Droste bekam 'ne dicke Wampe
vom tristen Biedermeiersein.

VIII (Vormärz)

Egal, es gab ja noch die andern:
den Gutzkow, Börne und den Heine
die mussten dann ins Ausland wandern -
ach, ihr wisst schon, was ich meine ...

Sie kämpften lange für die Freiheit
der Presse und der Koalition
und das war keine Kleinigkeit
im Deutschen Bund der Restauration

So schrieben sie die Wege frei
für die Sänger des März:
Freiligrath, Herwegh waren dabei
und Fallerslebens großes Herz.

IX (Realismus)

Doch als die Deutschen wieder mal
schön brav die Revolution vergeigt,
hat sich der Poeten Überzahl
artig vor Wilhelm Eins verneigt.

Naja, sie hatten ja die Kunst,
zumindest die sollte reell sein.
So schrieben sie von Maschinendunst.
Es musste ja nicht zu grell sein...

X (Naturalismus)

Das überließen sie in vornehmer Art
den Kopisten von Naturalisten:
Denen war kein Stoff zu hart,
selbst wenn die Läuse darin nisten.

Kein Wunder, dass sie kaum Gedichte
reimten bei den Themen.
Ihr Ding war die Sozialgeschichte,
die konnte man nicht verbrämen!

XI (Ästhetizismus/Dekadenzdichtung)

Das überließ man schon den Poeten
wie George und den Ästhetizisten.
Denn die waren als Seher und Propheten,
doch die, die es wissen müssten.

Die Kunst ist die Kunst ist die Kunst ist die Kunst
sie ist und bleibt autonom:
ob ätherische Sphären, ob geile Brunst -
Hauptsache es stimmt der Ton!

Ihnen wird alles zum Symbol
egal, ob Römischer Brunnen oder zwei Segel.
Herr Meyer fühlt sich halt nur wohl,
entdeckt er dahinter die Regel.

So schnitzen sie so vor sich hin
in feierlicher Ästhetik
längst stinkt die Stadt von heißem Benzin
und die Technik entwickelt sich stetig.

Sie haben die Moderne verschlafen
in ihrem antiken Ornat.
Ihre Worte vielleicht noch sich selber trafen
doch sicher nicht Preußens Obrigkeitsstaat.

XII (Expressionismus)

Drum machten sich die Bürgersöhne
auf zur lyrischen Revolution:
Großstadtlärm und Hurengestöhne
wurden zum neuen Kammerton.

Expressionismus hieß das dann damals
und sprach vom zerfallenden Ich.
Man wünschte sich selbst den Krieg an den Hals
denn man langweilte sich.

Das Hässliche konnte sich Schönheit erschleichen
und Ratten verbrachten 'ne Schöne Jugend
in den Gedärmen von Wasserleichen
und Ekligkeit wurde zur lyrischen Tugend

Aber das ist ja nicht alles,
es gab auch Innovation.
Recht stramm dichtete man im Falle des Falles
ohne Syntax und Interpunktion.

Denn damit ließ sich protestieren
gegen Monokel und Kaiser;
doch als die Staaten sich dann duellieren
schrien auch die Expressionisten sich heiser.

Vom Stellungskrieg vor Langemarck
kamen die meisten Expressionisten
zerbeult zurück im Eichensarg
es lebt sich halt besser als Pazifisten.

Drum sangen sie mit großem Pathos
von der neuen, der besseren Welt
und waren kurz darauf schon ratlos,
wieso das niemandem mehr gefällt.

XIII (Neue Sachlichkeit)

Denn nun kam die Neue Sachlichkeit
mit schlichtem, leisem Ton.
Sprach von ganz normalem Ehestreit,
von Streik und Arbeitslohn.

Der wurde immer schmaler
im Lauf der Weimarer Republik.
Und diese fehlenden Taler
brachen ihr dann das Genick.

XIV (Drittes Reich/Exil/Innere Emigration)

Es kam der Gefreite aus Böhmen
und mit ihm ging das Humane.
Auch die Lyrik begann zu dröhnen
und marschierte hinter der Fahne.

Manch einer verirrte sich gar
in den Zug der Hassgestalten,
(später wünschten sie, es wäre nicht wahr
dass sie Hitler die Stange gehalten.)

Drum mussten die, die Lyrik lieben
fort von daheim, ins ferne Exil.
Und den echten Dichtern, die noch blieben
verkümmerte elend der Stil.

Zwölf Jahre schwiegen sie verbissen
aus Angst und manchmal auch aus Scham.
Dann plagte sie ein schlechtes Gewissen,
dass sie nicht irgendwas getan!

XV (Trümmerliteratur/Nachkriegszeit)

Doch auch noch nach dem großen Kriege
betrieben sie Chlorophyll-Poesie,
schrieben von sanft grasender Ziege
und vertuschten so ihre Amnesie.

Da kam sie ihnen ganz gelegen:
Benns neue Ars Poetica -
Dichter sollten Wortkunst pflegen,
bloß nichts von Politica!

Das ging auch eine Weile gut,
dank kühnen Chiffren und Metaphern.
Die waren nämlich absolut
und schützten vor neugierigen Gaffern.

XVI (Politische Lyrik nach 1945)

Doch irgendwann wurde es den jungen
Dichtern zu muffig und hermetisch.
Sie hatten lang um die Wahrheit gerungen -
Sie wollten weg vom Metaphernfetisch

und politisierten endlich die Literatur.
Die einen standen auf Bertolt Brecht
andere wollten Politik pur
und manche trieben's sogar noch ärger:

"Tod", schrien sie, "Tod der Literatur!"
Der klügste von allen war Enzensberger:
Von Brecht nahm er den Gebrauchswert nur,
im Vergleich mit Benn war er viel kärger.

So gelang ihm die Synästhesie
aus Benn und Brecht ganz alleine.
Von Brecht die Politik, von Benn das Genie,
macht er den Mächtigen Beine.

Und doch hat er sich zu keiner Zeit
ideologisch verkauft.
Er war zeitlebens zum Zweifeln bereit,
hat immer um Wahrheit gerauft.

XVII (Agitpropliteratur)

Nach seiner negativen Dialektik,
geschult an Adornos Autonomie,
kam die revolutionäre Hektik
der Agitprop-Poesie.

Naja, die Zeit war wild und schön:
Vergesst die Kunst, einfach angefangen!
Jeder Depp erklomm so Parnassens Höh'n -
Hauptsache, sie sangen.

XVIII (Neue Subjektivität)

Auch diese Zeit ging schnell vorüber,
die Träume verloren an Kraft.
Viele schmorten dann doch lieber
fortan im eigenen Saft.

Man nannte das dann elegant
neue Subjektivität oder so.
Man heulte öffentlich mit Goldrand
und war doch eigentlich ganz froh,

dass postmoderne Beliebigkeit
sich schützend über einen hielt.
Es kam eine neue Form-Umtriebigkeit:
Man tut, was das Sonett befiehlt.

So sind wir heute nach 400 Jahren
so weit wie einst zu Opitz' Zeiten:
immer noch die alten Barbaren,
muss starre Norm unsre Träume begleiten.