Redakteur: Thorsten Krebs
Publikationsdatum: 01.11.2015
Letzte Änderung: 08.01.2017

Lesetipps der Woche

für Bücherwürmer und solche, die es werden wollen!

Lesetipps der Woche


Hier findet ihr Kurzkritiken aktueller Bücher, die Mitglieder unseres Bücherclubs für euch verfasst haben. Die Bewertungen reichen von einem Buchherz (=nicht besonders zu empfehlen) bis zu 5 Buchherzen (=ein absolutes Lesemuss!):
Die Rezensionen sind als Anregung und "Appetitmacher" gedacht. Und jetzt: ran an die Bücher und sich selbst ein Urteil bilden! Übrigens: Weitere Buchkritiken findet ihr in unserem Archiv der Rezensionen (1) und Archiv der Rezensionen (2) oder in unserem Archiv der Rezensionen (3)! .



Was wäre, wenn man plötzlich im Körper einer Fremden aufwachen würde?

Die junge Jessica ist unterwegs auf einem Spaziergang mit ihrem Hund Frankie, als sie einen attraktiven, sympathischen Mann namens Dan trifft. Jedoch tobt draußen ein Unwetter, und bevor sich die beiden näher kennenlernen können, wird Jessica vom Blitz getroffen. Was sie nicht weiß: Exakt zur selben Zeit wird auch die Ehefrau und vierfache Mutter Lauren vom Blitz getroffen. Als Jessica daraufhin im Krankenhaus aufwacht, warten dort ein Ehemann und vier Kinder auf sie, die Jessica nicht mal ansatzweise erkennt. Es stellt sich heraus, dass Jess in dem Moment, in dem die beiden Frauen vom Blitz getroffen wurden, in Laurens Körper geschlüpft, und Lauren, die andere Frau, wahrscheinlich tot ist.
Von nun an muss Jessica ein Doppelleben führen: Jedes Mal, wenn sie in einem Leben einschläft, erwacht sie im anderen. Wenn sie Jess ist, verfolgt sie ihre Karriere, kümmert sich um ihren Hund Frankie und verbringt Zeit mit ihrem neuen romantischen Partner Dan. Wenn sie Lauren ist, erfährt sie, was es bedeutet, eine Hausfrau und Vollzeitmutter für vier wunderbare Kinder zu sein. Jess wächst an der Aufgabe und schließt die Kinder praktisch sofort in ihr Herz, als wären es ihre eigenen, ganz besonders den jüngsten Sohn Teddy, der als Einziger bemerkt, dass Jess nicht seine eigentliche Mutter ist. Gleichzeitig muss sie jedoch eine Amnesie als Folge des Blitzschlags vortäuschen als Ausrede dafür, warum sie scheinbar ihre eigene Familie nicht wiedererkennt. Jedoch bemerkt Jess, dass in Laurens Familie nicht alles perfekt ist, es gibt starke Dissonanzen zwischen Lauren und ihrem Mann Grant, und seine Annäherungsversuche sind Jess einfach nur unangenehm. Außerdem stellt sich heraus, dass Lauren eine Affäre mit einem anderen Mann hatte. Zudem war Lauren offenbar nicht für das Muttersein geschaffen, denn sie bewahrte immer eine gewisse Distanz und Kühle gegenüber ihren Kindern. Eine Weile lang lebt Jess diese beiden verschiedenen Identitäten, doch es wird klar, dass sie das nicht für immer tun kann. Früher oder später wird sie sich für ein Leben entscheiden müssen.
Das Konzept dieses Buchs ist besonders außergewöhnlich und spannend, denn man fragt sich, wie Jess ein Doppelleben meistern wird, für welches Leben sie sich letztlich entscheiden wird und welche Geheimnisse sich hinter der „Heile Welt“-Illusion von Laurens Leben verbergen. Zudem ist Jess ein außerordentlich sympathischer Charakter, mit dem man mitfiebert und dem man nur das Beste wünscht. Überdies interessant zu beobachten ist, wie sich die junge Liebe zwischen Jess und Dan frisch entfaltet, besonders im Kontrast zu der Dynamik der jahrelangen, problembelasteten Ehe zwischen Lauren und Grant.
Melanie Rose lebt in Surrey und hat schon als Teenager Kurzgeschichten für Zeitschriften und Magazine geschrieben. Die Autorin hat zunächst als Kinderkrankenschwester und Spieltherapeutin gearbeitet, bevor sie mit ihrem Mann eine Familie gegründet, zwei Söhne bekommen und zwei weitere Kinder adoptiert hat. „Mein Tag ist deine Nacht“ ist ihr erster Roman.

Melanie Rose: Mein Tag ist deine Nacht, Knaur Taschenbuchverlag, 2010, 395 Seiten, 8,95 €; empfohlen ab 16 Jahren


Christina Weiß (Q 12)





„Einer für alle und alle für einen!”

1631. Schon seit dreizehn Jahren tobt der Krieg im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, noch weitere 17 Jahre wird er andauern. Doch davon ahnt zu dieser Zeit niemand etwas, auch nicht Lukas von Lohenstein, der in diesem Jahr seinen elften Geburtstag feiert. Für ihn ist der Krieg ein weiteres Abenteuer in seinem aufregenden Leben als Sohn eines Grafen. Denn wenn er endlich alt genug sein wird, möchte er im Krieg endlich seine guten Reit- und Fechtkünste unter Beweis stellen. Sein großes Vorbild ist dabei sein Vater, Graf Friedrich von Lohenstein, der selbst Mitglied in der Elitearmee „Schwarze Musketiere“ ist. Doch es kommt alles anders, als kurz nach seinem Geburtstag Lukas‘ Mutter und seine kleine Schwester Elsa von dem Inquisitor Waldemar von Schönbron verhaftet werden. Zu allem Übel wird seine Mutter der Hexerei angeklagt und sein Vater stirbt bei dem Versuch, seine Ehefrau und seine Tochter zu befreien. Aber Lukas gibt nicht auf, er versucht alles, um seine kleine Schwester zu retten, und macht sich auf, um sich die Unterstützung der „Schwarzen Musketiere“ zu holen. Auf seiner Reise zu den Musketieren begegnet er den unterschiedlichsten Leuten und schließt neue Freundschaften. Dabei erfährt Lukas unter anderem auch dunkle Geheimnisse der Familie Lohenstein, aber auch des Inquisitors Waldemar von Schönbron, die Rätsel aufwerfen. Diese gilt es zu lösen, bevor es zu spät ist.
Oliver Pötzsch entführt seine Leser in diesem Buch in die Zeit des 30-jährigen Krieges. Dabei verbindet er historische Elemente mit einer wahnsinnig spannenden Fantasy-Geschichte, die absolut mitreißt. Er beschreibt das Leben während des Krieges aus der Sicht des elfjährigen Lukas durchaus realistisch, achtet aber darauf, altersgerecht zu bleiben. Rundum ein gelungener Fantasy-Roman, der durch den historischen Hintergrund zu etwas ganz Besonderem wird.
„Die schwarzen Musketiere – Das Buch der Nacht“ ist der erste Jugendroman von Oliver Pötzsch, der durch seine Romanreihe „Die Henkerstochter“ berühmt wurde.

Oliver Pötzsch: Die schwarzen Musketiere – Das Buch der Nacht, Bloomoon-Verlag, 2015, 320 Seiten, 14,99 €; empfohlen ab 12 Jahren




Anica Specht (Q 12)





Wie beschreibt man einem Blinden Farben?

„Wer möchte heute Abend mit seinen Gefühlen anfangen?“ (Seite 12) So beginnt das allabendliche Ritual bei Jonas' Familie. Die Eltern, seine kleine Schwester und er berichten dann den anderen von den Erlebnissen des Tages, von den Emotionen, die sie dabei gespürt haben und von sonstigen Vorfällen in der Gemeinde. Ohne wahres Mitgefühl hören alle geduldig zu und besprechen sachlich die Probleme. Genauso nüchtern wie alles andere in der Gemeinschaft. Zwar gibt es keinen Krieg und keine Krankheiten, dafür sind aber auch für uns alltägliche Dinge wie Liebe und Selbstbestimmung verboten. Auch die Berufswahl wird von den Leitern und Ältesten der Gemeinschaft bestimmt. Gemeinschaft, das ist der einzige Wert, der zählt. Das Individuum wird nicht als solches betrachtet, sondern gleichgeschaltet und jeder bringt einen Nutzen für die Mitbürger.
Vor der Berufsverkündung steht jetzt auch Jonas. Aufgeregt sitzt er auf seinem festgelegten Platz, während einer nach dem anderen seine zukünftige Tätigkeit erhält. Doch da passiert etwas Seltsames. Die Verkünderin überspringt seinen Platz. Weiter geht es mit dem Jungen rechts neben ihm. Selbst das Publikum wird nervös. Ein Fehler im System kommt hier nicht vor, das wäre undenkbar. Aber dann wird Jonas zu etwas Besonderem bestimmt. Er darf beim Hüter der Erinnerung in die Lehre gehen. Dieser alte Mann sucht einen Nachfolger und überträgt nun Stunde um Stunde seine Gedanken und Erinnerungen von der „früheren Welt“ an Jonas. Und dieser beginnt zu lernen, er lernt von einer Zeit, in der es Wesen gab, die man Tiere nannte, und von Wetterphänomenen wie zum Beispiel dem Sonnenschein. Und er beginnt Farben zu sehen.
Völlig anders als die meisten Kinder- und Jugendbücher befasst sich „Hüter der Erinnerung“ mit einem Zukunftsszenario weit weg von üblichen Science-Fiction-Werken. Ethische Grundprinzipien werden hier in Frage gestellt und eine Welt wird konzipiert, die alle Gesetze und Normen, die wir kennen, völlig vernachlässigt. Jonas, am Anfang nur ein Glied in der Kette des Systems, wird später zu einem misstrauischen und weiter denkenden jungen Mann, der schon bald erkennt, in welcher Scheinwelt er lebt. Diese Entwicklung lässt sich auch beim Heranwachsen von Kindern erkennen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt gibt man sich nicht mehr mit den Standard-Antworten zufrieden und hinterfragt die Dinge, die man vor sich hat. Auch im Buch weiß Jonas irgendwann nicht mehr, was er glauben soll. Welche Eindrücke sind real, welche nur vorgespielt vom System?
Außerdem regt der Roman sehr zum Nachdenken an. Zum einen durch Absätze wie: „Was wäre, wenn sich jeder seinen Lebensgefährten aussuchen dürfte? Und dabei die falsche Entscheidung träfe? Oder wenn, bei der Absurdität dieser Überlegung hätte er fast laut aufgelacht, jeder sich seinen Beruf selbst aussuchen dürfte?“ (Seite 149) - hier wird einem erst bewusst, was für uns selbstverständlich ist. Zum anderen durch das sehr offene Ende. Viele Fragen bleiben ungeklärt und es bleibt dem Leser überlassen, ob er sich sein eigenes Ende ausdenkt. In jedem Fall ist „Hüter der Erinnerung“ ein besonderer Roman, dem eine außergewöhnliche Idee zugrunde liegt.

Lois Lowry: Hüter der Erinnerung, dtv junior, 2. Auflage 2014, 272 Seiten, 9,95 €; empfohlen ab 12 Jahren


Rebecca Stüber (Q 12)





Von Engeln – oder: Der Mann, der in der Garage lebte

Michael hat es zurzeit nicht leicht. Zum einen ist da der Umzug in ein baufälliges, marodes Haus, dann kommt seine Schwester viel zu früh auf die Welt. Michaels Eltern haben ab diesem Zeitpunkt fast keine Zeit mehr für ihn und so beginnt er die Umgebung und vor allem den überwucherten Garten zu erkunden. Bald entdeckt er auch die Garage (Betreten wegen Einsturzgefahr strengstens verboten!), die für ihn zum wichtigsten Ort wird. Denn hier zwischen Mäusen, toten Fliegen und hinter den Teekisten entdeckt der Junge eines Tages eine Art Mann, der unter Arthritis leidet und sich nicht bewegen kann. Seit vielen Jahren sitzt dieses Geschöpf in Anzug und Hemd nun schon in der Garage, ohne sich um irgendwas zu kümmern. Behängt mit Spinnweben und leichenblass im Gesicht, dazu noch mit einer krächzenden Stimme und einer Gips ähnlichen Haut, so stellt sich „Herr Niemand“ oder „Herr Habe-euch-satt“ vor, denn er möchte nicht belästigt werden. Die ganze Situation wird noch absurder, als das seltsame Wesen Nummer 27 und 53 vom Asia-Schnellrestaurant, dazu eine Aspirin-Tablette und ein helles Bier bestellt. Trotz der Abweisung beginnt Michael sich um den rätselhaften Mann zu kümmern und entdeckt dabei die Ausbeulung an seinem Rücken. Unterstützung bekommt er dabei vom Nachbarmädchen Mina. Zusammen entwickeln sie einen Rettungsplan und schaffen es, die Kreatur aus der Werkstatt in ein verlassenes, sauberes Haus zu transportieren. Während sich der Gesundheitszustand von Michaels Schwester verschlechtert, beginnt der gebrechliche Mensch stärker zu werden und eines Tages zeigt er den Kindern seine Flügel.
Der Autor David Almond schafft es in seinen ersten Kinderroman, viele philosophische Fragen anzusprechen. Was passiert, wenn wir sterben? Was sind die Grundwerte unseres Lebens? Die Geschichte wird nicht mit einer Auflösung am Ende erklärt oder als Einbildung der Protagonisten entlarvt. Jeder Leser sieht eine andere Bedeutung in dem Vogelmenschen. Mal ist er die Metapher für die Schwester, ein anderes Mal könnte man denken, er sei ein Schutzengel, der über die Kinder wacht. Wieder andere Leser sehen eventuell die moralische Stütze in ihm, ohne die Michael in eine Krise oder Depression verfallen wäre.
Das Buch ist nicht lustig geschrieben, es kommen keine Stellen vor, bei denen man lachen kann. Vielmehr gibt es traurige und hoffnungslose Momente, bei denen man mit Michael leidet und keinen Ausweg mehr sieht. Trotzdem fasziniert einen der Roman sehr stark und der Leser wird in seinen Bann gezogen, denn die Zukunft und Vergangenheit des Wesens bewegen einen sehr und man muss sofort weiterlesen. Übernatürliches und Hoffnungslosigkeit stehen sich hier gegenüber.

David Almond: Zeit des Mondes, Ravensburger Buchverlag, 4. Auflage: 2001, 192 Seiten, 6,99 €; empfohlen ab 11 Jahren




Rebecca Stüber (Q 12)



Heute schon regiert?

Als ob die 14-jährige Mia Thermopolis als zukünftige Thronfolgerin des kleinen Fürstentums Genovia nicht schon genug um die Ohren hätte, kommt jetzt auch noch dazu, dass sie neuerdings einen Freund hat. Was an sich ja schön und gut wäre, wenn sie denn nur in Kenny verliebt wäre. Das ist sie jedoch nicht, da sie schon seit Ewigkeiten für Michael schwärmt, den großen Bruder ihrer besten Freundin Lilly. Auf der anderen Seite jedoch rücken die Halbjahresprüfungen näher, und da Mia nicht unbedingt eine Einser-Schülerin ist in bestimmten Fächern, könnte sie Kennys Hilfe brauchen, um die Prüfungen zu bestehen. Natürlich weiß sie, dass das unfair gegenüber dem vollkommen verliebten Kenny ist, jedoch weiß sie nicht, wie sie auf eine Art und Weise, die seine Gefühle schont, mit ihm Schluss machen kann, da sie ihm nicht wehtun möchte. Währenddessen befindet sich ihr Schwarm Michael ebenfalls in einer Beziehung mit einem Mädchen, mit dem verglichen sich Mia komplett unzureichend fühlt, was ihr Liebeskummer verursacht. Hinzu kommen die aktivistischen Protestaktionen ihrer anstrengenden besten Freundin Lilly, die Tatsache, dass Mias Mutter ihren Mathelehrer geheiratet hat und dieser jetzt bei ihnen wohnt, hämische Kommentare von Mitschülern wegen ihres Adels, die Mia über sich ergehen lassen muss, und ihre, gelinde gesagt, exzentrische Großmutter, die ihre widerwillige Enkelin immer wieder für ihre absurden Pläne einspannt. Die Hauptperson Mia Thermopolis ist eine von Grund auf sympathische Figur. Die Autorin Meg Cabot hat mit ihr wirklich perfekt den Geist eines 14-jährigen Teenagers eingefangen, und ihr turbulentes Leben ist so unglaublich humorvoll erzählt, dass lautes Auflachen beim Umblättern keine Seltenheit ist. Auch interessant ist der Stil, in dem das Buch geschrieben ist, denn wir lesen Mias Tagebucheinträge. Dadurch bekommt der Leser sehr tiefe Einblicke in das, was sich in Mias Kopf abspielt, und den Eindruck, an ihren innersten, ganz persönlichen Gedanken und Gefühlen teilzuhaben. So kann man ihre Emotionen richtig verinnerlichen und verstehen, der Leser fühlt mit ihr mit und kann sich perfekt in sie hineinversetzen. Meggin Cabot, geboren in Indiana, lebt mit ihrem Mann und ihrer einäugigen Katze Henrietta in New York. Sie arbeitete zunächst als Illustratorin, bevor sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Auf einen Schlag berühmt wurde Meg Cabot mit den Romanen um Prinzessin Mia. Garry Marshalls Verfilmung des ersten Bandes, „Plötzlich Prinzessin“, wurde weltweit zum großen Kinoerfolg.

Meg Cabot: Prinzessin sucht Prinz, cbt Taschenbuchverlag, 2004, 248 Seiten, 6,95 €; empfohlen ab 12 Jahren





Christina Weiß (Q 12)



„Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen“

Diese Wahrheit sprach der russische Schriftsteller Isaac Asimov aus und lässt uns damit so viel Unrecht, das in dieser Welt geschieht, deutlich leichter verstehen. Er will uns mitteilen, dass Gewalt immer einen Grund hat, einen tiefen Ursprung. Auch im Roman „Das Ende der Lügen“ von Laura Summers wird familiäre Gewalt als zentraler Konflikt thematisiert. Die Schwestern Ellie und Grace und ihre Mutter stehen hierarchisch unter dem aggressiven, herrschsüchtigen Vater, welcher sie komplett einengt, schlägt und unterdrückt. Eines Nachmittags, als Ellie und Grace wie gewöhnlich nach der Schule nach Hause kommen, ist irgendetwas nicht wie sonst. Ihre Mutter scheint angespannt wie nie und teilt ihnen alsdann mit, dass sie fliehen werden. Irgendwohin. Nur weg von der Hölle, die sie bisher ihr Leben nennen mussten. Gesagt, getan. Also bricht das Dreiergespann mitsamt dem Hund auf, um die langersehnte Freiheit zu schnuppern. Etwas, das sie bisher nie gekannt, geschweige denn zu träumen gewagt haben. Sie bauen sich eine neue Existenz an der Küste auf und plötzlich überschwemmt sie eine Welle des Glücks. Ellie findet endlich Freunde an ihrer neuen Schule und fängt wieder an, fantasievolle Geschichten zu schreiben, was ihr Vater immer als Schwachsinn abgewertet hat. Grace ihrerseits trifft die Liebe ihres Lebens und kann sich endlich ihrer Leidenschaft, dem Designen von Kleidern widmen. Ihre Mutter findet sogar Arbeit in einem Café am Strand. Alles scheint gut, endlich, nach so langer Zeit der täglichen Demütigung. Doch wie könnte es anders sein, die Idylle hält nicht ewig an. Und schon bald scheint ihr altes Leben seinen Platz wieder einnehmen zu wollen.
Laura Summers lässt in ihrem Buch abwechselnd die Geschwister Ellie und Grace von den Geschehnissen erzählen. Dadurch wird deutlich, wie unterschiedlich Gewalttaten auf Menschen wirken. Grace reagiert mit totalem Verstummen, redet nur noch mit ihrer Schwester Ellie, wohingegen diese ihre Gedanken offen äußert und sich dem Vater rebellisch entgegenstellen möchte.
Das Buch macht Eindruck und lässt einen anschaulich in das Problemfeld „Gewalt in der Familie“ blicken. Dabei wird auch klar, dass die Gräueltaten lange unentdeckt bleiben und aus Scham mit dem Mantel des Schweigens bedeckt werden. Auf jeden Fall eine empfehlenswerte Lektüre für jeden und jede Interessierte.


Laura Summers: Das Ende der Lügen, dtv junior Verlag, 2015, 332 Seiten, 8,95 €; empfohlen ab 12 Jahren





Franziska Kölbl (Q 12)



Einfach mal abhauen

Alvin ist zwölf Jahre alt und möchte ganz weit weg von Zuhause. Seine Familie ist ihm peinlich. Er darf kein Fahrrad haben, obwohl er sich das Geld dafür selbst verdient hat und unbedingt mit seinem Onkel eine Radtour unternehmen möchte. Nicht einmal alleine zur Schule laufen darf er, seit er auf dem Schulweg in seiner Siedlung von einem Drogendealer angesprochen worden ist. Er fühlt sich wie ein Baby behandelt.
Ein Lichtblick für ihn ist, dass er in der Schule ein Referat über sein Idol, den berühmten Polarforscher Matthew Hensen, halten darf. Wer das beste Referat vorbereitet, darf mitbestimmen, wohin die Klassenreise in diesem Jahr geht. Für Alvin steht fest, dass er gewinnen muss. Dann verbietet ihm seine Mutter jedoch, auf die Klassenfahrt mitzukommen. Alvin ist verzweifelt und beschließt einfach, wie sein Vorbild, Matthew Hensen, von Zuhause zu verschwinden. Nach Norden. In die Arktis. Er weiß nicht genau, wie er dorthin kommt oder warum er das tut. Das Einzige, was er weiß, ist, dass er nach Norden will. Sein erstes Ziel ist Ellesmere Island.
So beginnt sein großes Abenteuer, bei dem er alle möglichen Menschen kennenlernt, gefährliche Dinge erlebt und all das Leben nachholen kann, was er bisher verpasst hat. Nun kann er mit eigenen Augen sehen, was Matthew Hensen in seinen Büchern beschreibt. Ein tolles Extra an diesem Buch ist, dass es vorne und hinten eine Karte gibt, auf der man Alvins spannende Reise genau verfolgen kann.
Donna Jo Napoli, 1948 in Miami geboren, ist eine US-amerikanische Professorin für Linguistik sowie Kinder- und Jugendbuchautorin. Außerdem gibt sie Kurse für kreatives Schreiben. Für ihre Bücher erhielt sie schon zahlreiche Preise.


Donna Jo Napoli: Nach Norden – Alvins Abenteuer bei den Inuit, Carl Hanser Verlag, 2006, 253 Seiten; 14,90 €; empfohlen ab 11 Jahren






Cassandra Fichtner (Q 12)



"Tschick"

Die 14-jährigen Hauptpersonen Andrej Tschichatschow (genannt Tschick) und Maik Klingenberg sind Klassenkameraden. Sie leben jedoch in sehr unterschiedlichen Familien. Maik ist ein Berliner und wohnt in einer Villa. Seine Mutter ist alkoholabhängig und sein Vater unterhält eine Liebesbeziehung mit seiner Sekretärin. Tschick dagegen kommt aus Russland und ist neu in der Klasse. Er wird von seinen Mitschülern aufgrund seines Alkoholkonsums verachtet. Maik bleibt in den Sommerferien allein, denn sein Vater ist angeblich auf einer Geschäftsreise mit seiner Sekretärin und seine Mutter in der Entzugsklinik. Da kommt Tschick ihn besuchen und sie freunden sich langsam an. Sie spielen zusammen Computer und plötzlich fällt Tschick eine abgefahrene Idee ein: Er schlägt vor, mit einem Lada in die Walachei zu seinem Onkel zu fahren. Anfangs ist Maik damit nicht einverstanden, doch Tschick schafft es, ihn zu überreden.
Auf der Fahrt erleben die beiden Freunde viele spannende Abenteuer und begegnen neuen Menschen, mit denen sie sich anfreunden. Herrndorf erreicht mit dieser Geschichte viele Leser, vor allem Jugendliche. Denn er spricht Probleme der Jugendlichen an, in die sich die meisten hineinversetzen können. Auch Emotionen werden durch den Schreibstil gut beschrieben. Dieses Buch eignet sich vor allem für Teenager ab dem Alter von etwa 13 Jahren.

Wolfgang Herrndorf: Tschick, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Filmausgabe 2016, 272 Seiten, 9,99 €; empfohlen ab 13 Jahren








Emine Akpaba (Q 12)



Mit Tagebuch auf Schatzsuche

Würdest du deine Ferien gern in einem einsamen Haus mitten im Nirgendwo mit deiner verrückten Familie verbringen? Genau das müssen die beiden 10-jährigen Leo und Imke tun. Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein. Leo und seine Familie leben eher wie Hippies, wohingegen Imke und ihre Familie eher modern eingestellt sind. Am Anfang sind die beiden Cousins also echte Gegensätze.
Während sie das geerbte Haus erkunden, finden sie ein Tagebuch ihrer Tate Lena, der das Haus früher gehört hat. Darin erfahren sie von der jungen Lena und ihrer Freundschaft zu Avi und seiner Familie, die von Lenas Familie während des Zweiten Weltkriegs versteckt wurden. Auch von einem Schatz wird in dem alten Schulheft gesprochen. Werden Leo und Imke ihn finden und was ist damals wirklich mit Avi und seiner Familie passiert?
Dieser spannende Roman ist ein weiteres faszinierendes und fesselndes Jugendbuch von Antonia Michaelis. Es ist liebevoll mit vielen Schwarz-Weiß-Bildern gestaltet und jeweils abwechselnd aus Leos und Imkes Sicht geschrieben. Auch wenn es nicht unbedingt ein Buch für Zwölftklässler ist, kann ich es sehr für Unter- und Mittelstufenschüler empfehlen.


Antonia Michaelis: Das Blaubeerhaus, Oetinger Verlag, 2015, 352 Seiten, 14,99 €; empfohlen ab 9 Jahren






Charlotte Polansky (Q 12)



Wie weit geht Freundschaft überhaupt?

Der 17-jährige Danny hat mit seinem besten Freund Vinnie und den drei weiteren Freunden, Christopher, Robbie und Mark, vor einiger Zeit eine Punkband gegründet, da Punkmusik Dannys Leidenschaft ist. Jedoch haben sich in letzter Zeit die Dinge etwas verändert, hauptsächlich, weil Vinnie sich verändert hat. Er kommt immer zu spät oder überhaupt nicht zu den Proben, pöbelt ständig herum, verbringt zu viel Zeit mit Saufen und hängt verstärkt mit rechtsextremen Leuten herum. Dies beeinträchtigt nicht nur die Freundschaft der beiden, sondern auch die möglichen Erfolgschancen der Band, was vor allem jetzt sehr ungelegen kommt, da die Band zwei Wochen vor ihrem ersten großen Auftritt steht.
Als Vinnie bei einer der Proben dann auch noch mit seiner neuen Freundin Clarissa auftaucht, für die Danny im Geheimen schon seit Jahren schwärmt, verkompliziert das die ganze Situation noch zusätzlich, denn Danny würde niemals versuchen, seinem besten Freund die Freundin auszuspannen. Danny und Clarissa kommen sich dennoch bald – zunächst als Freunde – näher, da Danny bitter Nachhilfe in Mathe benötigt, worin Clarissa ein Genie ist. Doch als Vinnie sich immer mehr von Danny entfremdet und weiter in die rechtsextreme Szene abrutscht und somit nicht nur Danny, Clarissa und sich selbst in Gefahr bringt, sondern auch die Zukunft der Band gefährdet, fragt sich Danny, ob er mit jemandem wie Vinnie eigentlich noch befreundet sein will, zumal Vinnie Clarissa wahrlich nicht gut behandelt und sie vielleicht sogar Dannys Gefühle erwidert. Der Hauptfokus dieses Buchs liegt auf Freundschaft, wie weit man sie biegen kann und wann man eine Freundschaft zum Wohl beider beenden sollte. Menschen verändern sich, und der Freund, den man zu Kindergartenzeiten gekannt hat, existiert vielleicht nur noch in der Erinnerung. Hat man sich so weit voneinander entfernt wie Danny und Vinnie, kommt man von diesem Punkt nicht mehr zurück. Selbst wenn man an der Vergangenheit festhalten will, wäre es besser, loszulassen.
Jochen Till wurde im Mai 1966 in Frankfurt geboren. Neben seiner Tätigkeit als Autor legt er am Wochenende in seiner Lieblingskneipe Musik auf. Bei seinen Hobbys dreht sich alles um Musik, Filme, Comics und natürlich Bücher und das Schreiben. Sein Jugendroman „Ohrensausen“ stand auf der Auswahlliste für den deutschen Jugendliteraturpreis 2003.


Jochen Till: Ohrensausen, Ravensburger Taschenbuchverlag, 2004, 255 Seiten, 6,95 €; empfohlen ab 12 Jahren




Christina Weiß (Q 12)



Vier Generationen, eine Reise

Ava ist vor kurzem nach Dublin weggezogen und ihre geliebte Großmutter Emer liegt im Sterben. Deshalb hat Mary auch gar keine Lust, sich mit der seltsamen alten Frau zu unterhalten, die sie auf ihrem Heimweg von der Schule anspricht. Schließlich hat sie genug mit ihren eigenen Problemen zu tun. Doch dann stellt sich heraus, dass es sich bei dieser merkwürdigen alten Dame um ihre Urgroßmutter Tansey handelt. Als Geist ist sie noch einmal zu ihrer Familie zurückgekehrt, um ihrer Tochter die Angst vor dem Tod zu nehmen. Dieses Ziel möchte Tansey erreichen, indem sie mit ihrer Tochter Emer, ihrer Enkelin Scarlett und ihrer Urenkelin Mary noch einmal ein letztes großes Abenteuer erlebt. Ehe sie sich versehen, sitzen alle vier Frauen in einem Auto und fahren an der Ostküste Irlands entlang und so beginnt die letzte gemeinsame Reise in die Nacht, die keine von ihnen unverändert lassen wird.
Tod und Abschied, das sind Themen, mit denen man sich nicht sehr gerne beschäftigt - weder als Autor noch als Leser. Doch Roddy Doyle schafft es auf wunderbare Weise, Tod und Leben, Abschied und Liebe in seinem Buch zu verbinden, ohne dabei schwermütig zu werden. Er zeigt, dass das Sterben zum Leben dazugehört, auch wenn das heißt, Abschied nehmen zu müssen. Auf dieses Thema geht der Autor speziell auf der Reise der vier Frauen ein, denn jede der vier hat eine andere Art und Weise, mit Verlust umzugehen, sodass sich der Leser in einer der vier Personen wiederfindet. Rundum ein sehr besonders Buch, das absolut lesenswert ist.
Roddy Doyle ist einer der erfolgreichsten irischen Autoren und wurde bekannt mit seinem Buch „Wildnis“, das unter anderem auch mit dem Irish Book Award ausgezeichnet wurde.


Roddy Doyle: Mary, Tansey und die Reise in die Nacht, cbj- Verlag, 2014, 240 Seiten, 7,99 €; empfohlen ab 12 Jahren






Anica Specht (Q 12)



Eine Lichtung. Ein Labyrinth. Kein Ausweg.

Thomas erwacht ohne Erinnerung an sein früheres Leben auf einer Lichtung. Das Besondere daran: Diese Lichtung liegt nicht inmitten eines Waldes, sondern in einem riesigen Labyrinth. Er ist nicht allein, unzählige andere Jungen versuchen schon seit Jahren, einen Ausweg aus diesem Irrgarten zu finden, doch bis jetzt vergeblich. Thomas ist jedoch anders. Neugierig möchte er herausfinden, wer alle in diese Lage gebracht hat und weshalb. So erwacht mit ihm eine neue Hoffnung. Die Lage spitzt sich erheblich zu, als ein Mädchen auf die Lichtung gebracht wird, denn alle wissen, sie ist die Letzte. Es werden keine Vorräte mehr geliefert und Monster aus dem Labyrinth fangen an, die Lichtung und ihre Bewohner anzugreifen. Nun liegt es an Thomas, einen Ausweg zu finden und seine Freunde in Sicherheit zu bringen.
James Dashner baut in diesem Buch sehr viel Spannung auf, sodass im Verlauf der Geschichte immer mehr Fragen aufkommen. Der Leser möchte unbedingt wissen, weshalb die Jugendlichen in diesem Labyrinth gefangen sind und wer das Ganze veranlasst hat. Auch die Charaktere schließt man schnell ins Herz. Alles in allem ein gelungener Auftakt zu einer Jugendbuchreihe, die insgesamt lesenswert ist.

James Dashner: Die Auserwählten - Im Labyrinth (Maze Runner 1), Carlsen-Verlag, Taschenbuch 2013, 496 Seiten, 9,99 €; empfohlen ab 12 Jahren









Theresa Bolkart (Q 12)



„Rattenjunge, Mistgeburt, Monster!“

Der 10-jährige August Pullman, kurz Auggi, wurde mit zwei genetischen Defekten geboren, weshalb er unzählige Operationen durchleiden musste. Die Mediziner waren sich sicher, dass der kleine Junge nicht lange leben würde, doch Auggi beweist ihnen das Gegenteil. Er kämpft sich durch mit seiner witzigen und aufgeweckten Art und beschließt sogar zur Schule zu gehen. Doch auch wenn er von den Ärzten als „Wunder“ bezeichnet wird, ist sein entstelltes Gesicht geblieben. Ein Gesicht, das andere entsetzt, anwidert, verängstigt. Er muss sich die schlimmsten Beschimpfungen anhören, wird von fiesen Schülern gemobbt, die in Auggi das perfekte Opfer finden. Aber es gibt auch die starken Kinder wie Jack und Summer, die sich gegen die Fieslinge auflehnen und August in Schutz nehmen, obwohl sie sich dadurch selbst ausgrenzen.
In ihrem Buch „Wunder“ ist es Raquel J. Palacio gelungen, mich mit jedem Kapitel, jeder Seite, jedem Satz zu berühren. Ihre Worte sind so direkt und authentisch. Augusts Wunsch nach Normalität und die Hoffnung, dass seine Mitmenschen ihn eines Tages so akzeptieren und mögen, wie er ist, haben mich zu Tränen gerührt.
„Liebt einander bedingungslos“ ist die wunderschöne Botschaft dieses Jugendbuchs und trifft damit mitten ins Herz. „Um jemanden zu lieben, braucht man keine Augen, nicht wahr? Man fühlt es einfach im Inneren. So ist es im Himmel. Da gibt es nur Liebe, und niemand vergisst diejenigen, die er liebt“ (Seite 273).

Raquel J. Palacio: Wunder Sieh mich nicht an, dtv (Reihe Hanser), 7. Auflage 2016, 9,95 €; empfohlen ab 10 Jahren







Elisa Sepp (Q 12)



Wasser, Wildnis, Einsamkeit

Mimi ist eigentlich ein ganz normales Mädchen. Sie mag Schule nicht besonders und trifft sich gerne mit ihren Freundinnen. Allerdings hat sie auch zwei Besonderheiten: erstens leben sie und ihre Schwester bei ihren Tanten, weil ihre Eltern gestorben sind, und zweitens liebt sie nichts mehr als zu reisen. Keinen Urlaub, wie zwei Wochen in Italien am Strand liegen und sich in der Sonne rösten lassen, nein, richtig reisen. Das liegt ihr nämlich im Blut, da ihre Eltern beide Archäologen waren und eine ihrer Tanten als Reisejournalistin arbeitet. So kommt es, dass sie ihre Schwester Nicki auf ihr erstes richtiges Abenteuer nach Kanada begleitet, wo die beiden an einer Trekkingtour teilnehmen. Drei Wochen paddeln und wandern sie mit einer Gruppe durch den Nordwesten Amerikas.
Dort findet Mimi alles, was sie sich zuhause erträumt hat: die absolut unberührte Wildnis und die atemberaubend schöne Natur, so weit das Auge reicht. Allerdings muss sie sich auch Dingen stellen, die sie nicht erwartet hat, als sie sich in den gutaussehenden Reiseführer Brian verliebt. Doch als eines Nachts ein Schuss im Camp fällt, wird sie auf ihre erste richtige Mutprobe gestellt. Denn es ist klar, dass es nur jemand aus der Gruppe gewesen sein kann, da sie die einzigen Menschen weit und breit sind. Jeder hat einen Verdacht, aber es gibt keinen Beweis. In der absoluten Abgeschiedenheit muss man sich eigentlich völlig auf seine Partner verlassen können, denn hinter jeder Flussbiegung kann der nächste Bär oder Waldbrand auf einen warten, umso schlimmer ist es, seiner Gruppe nicht zu 100 Prozent vertrauen zu können.
Da stellt sich Mimi die Frage, ob sie überhaupt noch Globetrotterin werden will, denn eines wird ihr klar, reisen kann hart und gefährlich sein. Außerdem wird man unweigerlich mit schwierigen Menschen zusammen und ihnen sogar ausgeliefert sein. Ist es das alles wert?

Sissi Flegel: Kanu, Küsse, Kanada, Thienemann, 2009, 176 Seiten, 9,90 €; empfohlen ab 11 Jahren







Maria Baumer (Q 12)



Am Abgrund des Lebens

Agnes ist gelangweilt. Nicht nur einfach gelangweilt, wie es jeder von uns manchmal ist. Sie sieht keinen Sinn in dem, was sie tut. Alles erscheint wie ein großer Berg Anstrengung. Nichts ist spannend. Nichts bewegt sie. Nichts fasziniert sie. Sie ist einfach nur da. Sie existiert. Aber eines Nachts verspürt sie den Drang, nachts fernzusehen, und gibt wahllos eine Zahl ein: die 87. Normalerweise ist dieser Programmplatz nicht belegt, aber jetzt erscheint plötzlich eine dreiäugige Frau auf dem Bildschirm, die sich als „Lestia Thumb“ vorstellt. Agnes ist das erste Mal seit langer Zeit auf etwas gestoßen, das ihr zwar irgendwie unheimlich erscheint, von dem aber eine enorme Spannung und Anziehungskraft ausgeht. Sie will wissen, was es mit dieser Frau auf sich hat, und schaut ab jetzt jede Nacht fern. Lestia Thumb macht ihr Komplimente, etwas, das sie sonst von niemandem bekommt. Sie eröffnet ihr, dass sie super als „Spielerin“ geeignet wäre. Dafür sollte sie aber eine winzig kleine Anschaffung tätigen. Agnes ist verwirrt. „Was hat es mit diesem Spiel und vor allem dieser ominösen Anschaffung auf sich?“
Des Rätsels Lösung erwartet sie in der Zelterstraße 34, wo sie den Artikel Nummer 339768 abholen soll. Eine Schatulle, die ein kleines Messer beinhaltet. Agnes findet heraus, dass sie sich damit schneiden muss, um in die spannende, aufregende Welt des sogenannten Spiels eintreten zu können. Herausforderungen warten auf sie. Etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt, denn im Spiel haben alle das Ziel, für die Endzeremonie ausgewählt zu werden. Alle glauben, das sei der Weg ins Glück, das sei der Sinn ihres Daseins. Endlich seien sie zuhause. Endlich sehe man ihre wahren Talente und erkenne sie als Personen an. Doch irgendwann ist Agnes Arm so zerschnitten, dass es schwer wird, die Verletzungen vor ihrer Familie und ihren Schulkameraden in der realen Welt zu verstecken. Sie zweifelt. War das wirklich die richtige Entscheidung, an Lestia Thumbs Spiel teilzunehmen. Ist es das wert? Sich selbst zu verletzen, um sich nicht zu langweilen?
Martina Wildners Roman „Grenzland“ bietet einen aufreibenden Einblick in die psychische Verfassung eines Schulmädchens, das keinen Sinn im Leben sieht und dessen Alltag schwer auf ihren Schultern lastet. Sie schildert eindrucksvoll die Suche nach Sinn und Zweck des Daseins in der Zeit des Heranwachsens und klärt über das Phänomen der Selbstverletzung auf. Dadurch dass das Buch aber eine solch eindringliche Wirkung auf den Leser hat, kann es durchaus sein, dass man selbst in eine leicht depressive Stimmung verfällt. Deshalb kann ich das Buch nur für wenig beeinflussbare Gemüter empfehlen, die einen Eindruck bekommen möchten, wie es im Kopf einer psychisch extrem angeschlagenen Person vorgeht.

Martina Wildner: Grenzland, Fischer Taschenbuch Verlag, 2011, 358 Seiten, 8,99 €; empfohlen ab 15 Jahren



Franziska Kölbl (Q 12)



„Der beste Tag meines Lebens“

Das Asperger-Syndrom ist eine autistische Entwicklungsstörung. Menschen, die an dieser Krankheit leiden, können die Gefühle anderer nicht wahrnehmen und ihre Stimmungen nicht einschätzen. Deshalb tun sie sich sehr schwer, sich sozial zu integrieren. Außerdem haben sie oft ungewöhnliche Sonderinteressen.
An dieser Krankheit leidet der 14-jährige Protagonist Colin Fischer, der sich deshalb auch auf der Highschool sehr schwertut: Wenn ihn z.B. Mitschüler angrinsen, kann er nicht beurteilen, ob es gemein oder nett gemeint ist. Auch nimmt er kein Blatt vor den Mund: Er äußert all seine Meinungen, ohne darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist. Deshalb finden seine Freunde und Geschwister Colin peinlich. Außerdem hasst er es, berührt zu werden. Er möchte sogar von seinen Eltern nicht umarmt und geküsst werden. Sein besonderes Interesse gilt Sherlock Holmes. Colin ist nicht nur ein Fan von ihm, sondern sieht Holmes als ein Idol. Er führt ein Tagebuch, in das er all seine Beobachtungen schreibt, was ihn quasi selbst zu einem Detektiv macht. Als eines Tages ein Schuss in der Cafeteria der Highschool losgeht und sein Mitschüler Rowdy beschuldigt wird, macht er sich auf die Spur, diesen Fall zu lösen.
Der Roman ist einfach geschrieben, was dazu führt, dass die 224 Seiten schnell gelesen werden können. Dies wird durch Colins Tagebucheinträge und Fußnoten unterstützt. Jedes Kapitel fängt mit einem Tagebucheintrag an und für Interessierte gibt es immer wieder Fußnoten, die weiteres Wissen über andere Themen beinhalten.
„Der beste Tag meines Lebens“ ist der erste Jugendroman des amerikanischen Autorenduos Ashley Miller und Zack Stentz, das vielleicht manche schon von ihren erfolgreichen Drehbüchern für „Thor“ oder „X-Men“ kennen.


Ashley Miller und Zack Stentz: Der beste Tag meines Lebens, Ravensburger-Verlag, 2012, 224 Seiten, 7,99 €; empfohlen ab 12 Jahren





Emine Akbaba (Q 12)



Eine Regierung ohne Moral?

London, 2042: Kyla Davis wurde geslated und trägt nun ein Levo am Handgelenk, das ihre Stimmung und Aggression kontrollieren soll. Wer jetzt verwirrt ist und nicht wirklich etwas versteht, dem wird es auch am Anfang des Romans „Gelöscht“ nicht besser gehen. Völlig ohne Vorabinformation wird man in die Geschichte des 16-jährigen Mädchens geworfen. Erst im Laufe des Buches findet man heraus, dass „Slating“ eine Art Zurücksetzen des Gehirns ist und man sich somit an nichts mehr erinnern kann. Dieses Verfahren wird vor allem bei jugendlichen Straftätern angewandt, um ihnen eine zweite Chance und einen Neuanfang zu ermöglichen. Nachdem man das „Gehirnlöschen“ überstanden hat, wird man einer neuen Familie zugewiesen, die einen aufnimmt und liebt wie ein eigenes Kind. Bis jetzt hat dieses System immer funktioniert, bis jetzt... denn Kyla ist anders: Sie hinterfragt die Dinge, setzt sich nicht einfach still vor sich hinlächelnd in die Gruppenstunde. Sie macht sich Gedanken über die Regierung, die Sicherheit im Land und die Terroristen, die gegen das System rebellieren, und beginnt zu recherchieren. Natürlich plagen sie auch Zweifel: War sie wirklich eine Straftäterin und wurde sie zu Recht geslated? Theoretisch sollte Kyla sich an nichts mehr erinnern können, doch praktisch träumt sie immer öfter von Personen und Orten aus früheren Zeiten. Und noch etwas kehrt zurück: ihre Fähigkeit, im Kampf zu überleben! Durch die Abwechslung von Traumwelt und Realität schafft es Teri Terry, dass sich der Leser genau in Kylas Lage versetzen kann. Man weiß nicht mehr, wo das echte Leben endet und wo ihre Hirngespinste beginnen.
Bis zum Ende der Trilogie fiebert man mit der Hauptperson mit und hofft darauf, dass Kyla ihre frühere Identität wiederfindet. Außerdem wechseln die Rollen der einzelnen Personen die ganze Zeit über und man kann nicht sagen, auf welcher Seite die Charaktere stehen und was sie im Hinterhalt planen. Jedem muss man misstrauen und auch die nettesten Mädchen sind in Wahrheit gefährliche Systemgegner, die zum Beispiel Anschläge planen.
Alle Figuren sind sehr genau beschrieben und man kann sich die Details sehr gut vorstellen und somit wird auch der Lesespaß viel größer. Die Autorin schafft es auch, durch die Ich-Perspektive eine besondere Nähe zur Hauptperson zu schaffen, die einem von Anfang sehr sympathisch vorkommt. Obwohl der Roman teilweise sehr verworren und undurchsichtig scheint, lösen sich gegen Ende alle Probleme und Intrigen. Somit wird die Trilogie zu einem absoluten Highlight für junge Leser, die sich gerne über das Gelesene Gedanken machen und kritisch das System hinterfragen.

Teri Terry: Gelöscht, Fischer Taschenbuch, 4. Aufl. 2015, 431 Seiten, 8,99 €; empfohlen ab 14 Jahren



Rebecca Stüber(Q 12)



Welche Tragweite eine Entscheidung hat, weiß man oft erst, wenn alles vorüber ist...

„Duncan wusste, was Tim in Gang gesetzt hatte. Warum gab es das nicht, so ein großes rotes Blinklicht, das immer warnend aufleuchtet, wenn man eine schlechte oder sogar, wie in diesem Fall, katastrophale Entscheidung traf?“ (Seite 153) Duncan ist im Abschlussjahr an der Irving School und zwei Fragen schießen ihm durch den Kopf: Welches Zimmer wird er bekommen? Und welchen „Schatz" hat sein Vorgänger ihm dort hinterlassen? Denn das ist Tradition an seiner Schule. Er kann sein Pech kaum fassen, als er seinen Namen am kleinsten Zimmer im Flur entdeckt und dann auch noch nichts weiter vorfindet als einen Stapel CDs.
Hinterlassen hat ihm diese CDs Tim, der ehemalige Bewohner seines Zimmers, Außenseiter und Albino. Tim hat die CDs aufgenommen und erzählt Duncan seine Geschichte. Wie er an die Irving School kam, von seiner Freundschaft zu Vanessa und von den Ereignissen im letzten Schuljahr, die Duncan nur allzu gut in Erinnerung geblieben sind. Bald kann Duncan gar nicht mehr aufhören, Tims Geschichte zu lauschen und doch fürchtet er sich vor den Schilderungen jener tragischen Nacht, die das Leben aller Beteiligten verändert hat...
„So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ von Elizabeth LaBan wird aus zwei Perspektiven erzählt. Als Leser nimmt man Duncans Platz ein und hört mit ihm zusammen Tims Geschichte an, die dieser sehr sorgfältig und detailgetreu auf die CDs gesprochen hat. Manchmal fällt es einem dadurch schwer, die beiden nicht zu verwechseln, denn auch wenn man es nicht sofort erkennt, ähneln sich ihre Charaktere sehr stark und obwohl Duncan und Tim sich eigentlich nur flüchtig kennen, scheint es, als hätten sie eine tiefe Verbindung zueinander.


Elizabeth LaBan: So wüst und schön sah ich noch keinen Tag, Hanser, 2016, 276 Seiten, 16,90 €; empfohlen ab 13 Jahren






Elisa Sepp (Q 12)



„Eine Liebe bis ans Ende der Welt“

Das ist die Liebesgeschichte von Aki und Sakutaro, die in Japan spielt. Sie lernen sich mit 14 Jahren auf der Mittelschule kennen und freunden sich an. Aus guter Freundschaft entwickelt sich mit der Zeit eine große Liebe. Diese Beziehung von Aki und Sakutaro ist mit anderen Liebesbeziehungen nicht vergleichbar, denn die beiden gehen besonders zärtlich und sensibel miteinander um. Fast wirkt es, als würde eine platonische Liebe die beiden verbinden: Sie verbringen viel Zeit zusammen, küssen sich jedoch kaum.
Die Zuneigung zueinander hält viele Jahre hindurch an, doch eines Tages erfährt Aki, dass sie an einer Krankheit leidet und kein langes Leben mehr vor sich haben wird, was allen Träumen des Paares ein abruptes Ende bereitet. Deshalb beschließt Sakutaro, wenigstens einen Wunsch Akis wahr werden zu lassen, um sie zu unterstützen und eine schöne letzte Zeit mit ihr zu genießen. So reisen sie zusammen nach Australien. Kurz danach stirbt Aki in einem sehr jungen Alter.
Die Geschichte wird von Sakutaro aus der Rückblende erzählt, indem er an seine Jugend und an die glücklichen Jahre mit seiner Geliebten denkt. Das Buch, das vor allem Liebhaber/innen von Liebesromanen begeistern wird, ist leicht zu lesen und führt den Leser auch in die fremde, japanische Welt.


Kyoichi Katayama: Das Gewicht des Glücks, Goldmann-Verlag, 2007, 192 Seiten; empfohlen ab 13 Jahren







Emine Akbaba (Q 12)



Zwei Seelen – ein Körper

Die Erde in der Zukunft: Die Menschheit, wie wir sie kennen, existiert nicht mehr. Parasitenähnliche Wesen, sogenannte Seelen, haben sich in den Menschen eingenistet und ihr Bewusstsein übernommen. Eine kleine Hoffnung gibt es jedoch noch: freie Menschen, Widerstandskämpfer, die im Verborgenen leben. Melanie ist eine von ihnen, doch eines Tages wird auch sie von den Wesen erwischt. Die Seele, die ihr implantiert wird, nennt sich Wanderer und zu ihrem Erstaunen gelingt es ihr nicht, Melanies Geist aus ihrem Körper zu verbannen. Nun müssen sie in Melanies Körper zusammenleben. Je länger die beiden vereint sind, desto mehr verändert sich Wanderer. Bald veranlassen Melanies Gefühle die Seele, nach Jared und ihrem Bruder Jamie zu suchen. Doch sind es wirklich nur die Gefühle der „Besetzten“ oder empfindet Wanderer vielleicht selbst etwas für die beiden Jungen?
Eine interessante Reise beginnt, bei der natürlich nicht alles so funktioniert wie gedacht. Die Widerstandskämpfer wollen Melanie nicht glauben, dass sie immer noch in ihrem Körper ist. Nur langsam kann sie das Vertrauen der anderen gewinnen. Nun gilt es, eine Lösung zu finden, damit sowohl Melanie als auch Wanderer ein eigenständiges Leben führen können.
„Seelen“ von Stephenie Meyer ist trotz einiger langatmiger Passagen ein richtig gutes Buch. Vor allem wachsen dem Leser die Personen sehr ans Herz, da sie Entwicklungen durchmachen und so viel menschlicher wirken, als wenn es perfekte Charaktere wären. Zusammenfassend also: ein tolles Jugendbuch für die nächsten Ferien.


Stephenie Meyer: Seelen, Carlsen-Verlag, Taschenbuch 2011, 912 Seiten, 10,99 €; empfohlen ab 13 Jahren







Theresa Bolkart (Q 12)



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